EPLAN steigt auf den Kabelbaum
Kabelbaumentwicklung – EPLAN war bisher bekannt für Elektrotechnik- und Mechatronik-Applikationen, jetzt betritt das Unternehmen mit einer Kabelbaum-Softwarelösung Neuland.
In Schaltschränken, deren Konstruktion nach wie vor ein zentrales Thema der EPLAN Software ist, werden Einzellitzen verwendet, also einzelne Kabel. Ein Trend geht jedoch zu dezentralen Steuerungen in Maschinen, die dann durch Kabelbündel beziehungsweise –bäume verbunden werden. Weitere Anwendungsgebiete sind mechatronische Produkte aller Art bis hin zu Autos und Flugzeugen. Kabelbäume sind hochgradig individualisierte Bauelemente – die Zeiten, als in einem Autokabelbaum alle möglichen Kabel vorhanden sind, auch wenn die entsprechenden Ausstattungsdetails nicht verbaut sind, sind lange vorbei. Kabelbäume werden immer öfter genau an die tatsächlichen Anforderungen angepasst, was dazu führt, dass der Konstruktionsaufwand ebenfalls wächst. EPLAN kaufte zum 1. Juli 2012 die Entwicklungs- und Vertriebsrechte der Software Harness Expert von Linius Technologies. Der EPLAN Geschäftsführer nannte Harness Expert auf einer Pressekonferenz „die einzige 3D-Lösung im Kabelbaumbereich“, die es ermögliche, 3D-Kabelführung und elektrische Informationen zu verheiraten. CAD – und Elektrodaten vereint
EPLAN Harness proD erhält die 3D-Daten aus einer breiten Palette von CAD-Systemen, zu denen entsprechende Schnittstellen angeboten werden. Viele CAD-Systeme bieten die Möglichkeit, Kabelbäume zu definieren, aber meist sind diesen 3D-Modellen keine elektrischen Daten, beispielsweise die Anzahl und der Durchmesser der Adern hinterlegt. Harness proD schließt diese Lücke, indem es aus EPLAN Electric P8 die entsprechenden Informationen übernimmt und verarbeitet. Auch der „Rückweg ist möglich, die 3D-Daten des in Harness proD definierten Kabelbaums lassen sich ins 3D-System zurückliefern. Dies ermöglicht es zum einen, den Einbau des – beispielsweise in Bezug auf Durchmesser und Biegefähigkeit – realistischen Kabelbaums am kompletten Modell zu überprüfen und zum anderen wird das 3D-Modell so realitätsnah wie möglich gehalten. Harness proD bietet zudem einen 3D-Editor, mit dem sich 3D-Modelle konstruieren lassen, wenn keines vorhanden ist. Die neue Software erzeugt aus dem 3D- beziehungsweise 2D-Kabelbaumlayout automatisch eine ganze Reihe von Auswertungen, die für Kalkulation, Bestellwesen und Fertigung benötigt werden: Gesamt- oder Einzelstückliste, Stecker- und Spleißlisten, Draht- und Verbindungslisten sowie Auswertungen der Arbeitsgänge, um Zeit und Kosten zu ermitteln. Die Daten lassen sich direkt an Drahtkonfektionierungsautomaten, beispielsweise von Komax, übergeben. Zur Validierung des Kabelbaumentwurfs bietet das System umfangreiche und praxisnahe Test- und Prüffunktionen für Biegeradien, Füllgrade, Kabellängen, Bündel ohne Adern und Stecker. Auch der Einbau des Kabelbaums in das Produkt lässt sich simulieren. Ziel ist es, frühzeitig, also noch vor Prototyperstellung, mögliche Inkonsistenzen und Fehler zu erkennen und die Korrektur zu vereinfachen. Mit das wichtigste Ergebnis einer Kabelbaumkonstruktion ist die sogenannte Nagelbrettzeichnung. Kabelbäume werden meist von Hand gefertigt, als Bauhilfe dient ein Brett, auf das die Zeichnung des Kabelbaums aufgezogen wird. An den Verzweigungen werden Nägel eingeschlagen, damit die Einzellitzen um diese Nägel gezogen werden können. Dann werden die Litzen auf dem Brett mit Schrumpfschlauch, Gewebeband oder –schlauch umwickelt und zum Kabelbaum zusammengefasst. An den Enden der einzelnen Äste sind auf die Zeichnung die Kabelenden und die Belegung des jeweiligen Steckers dargestellt, so dass beim Zusammenbau keine Missverständnisse auftreten können. Harness proD unterstützt den Anwender bei der Erstellung der Nagelbrettzeichnung, so dass die „Abwicklung“ des dreidimensionalen Baums auf die 2D-Zeichnung eine Sache weniger Mausklicks ist, Die Informationen zu Kabelfarben und Steckern hat das Programm ja aus EPLAN Electric P8, so dass die Darstellungen der Stecker und Belegungen nur noch auf der Zeichnung angeordnet werden müssen. Vom Schaltschrank zum Produkt
Die Wichtigkeit des Kabelbaums in Produkten unterstrich Maximilian Brandl mit der Aussage, dass der Kabelbaum nach der Motor- und Getriebeeinheit die zweitteuerste Komponente eines Autos ist. EPLAN rundet mit Harness proD nicht nur sein Produktportfolio ab, sondern erschließt sich neue Kundenkreise: War das Unternehmen bei vielen Kunden bisher eher in der Betriebsmittelkonstruktion und Automatisierung angesiedelt, wo Schaltschränke konstruiert werden, schafft es mit Harness proD den Sprung in die Produktkonstruktion. Bei vielen Unternehmen ist die Kabelbaumkonstruktion nach wie vor ein händischer Prozess, der Kabelbaum wird zwar im Konstruktionsprozess definiert, aber eben nur in den technischen Eigenschaften. Die physikalische Form des Kabelbaums wird erst sehr spät im Entwicklungsprozess festgelegt – mit entsprechendem Zeitaufwand und großem Potential für Änderungen die Notwendig werden können, beispielsweise wenn der Kabelbaum dicker wird als zunächst gedacht und ein Wanddurchbruch plötzlich zu klein oder an der falschen Stelle ist. Mit Harness proD ergänzt EPLAN sein Angebot und positioniert sich schlau in den bestehenden Kundenunternehmen. Der EPLAN Vertrieb dürfte bei zufriedenen Electric-Kunden sicherlich einfacheres Spiel haben, die Harness-Lösung zu verkaufen und die Kabelbaumkonstruktion zu optimieren, wenn der Referenzkunde die eigene Automatisierungsabteilung ist. Aber auch bei Neukunden wird das Alleinstellungsmerkmal 3D-Konstruktion Eindruck machen – ist die 3D-Modellierung des Kabelbaums in allen seinen Facetten, also inklusive der Informationen aus der Elektrokonstruktion, doch eigentlich die einzige zukunftssichere Methodik. Autor: Ralf Steck, beitrag erschienen in :K CAD CAM, Ausgabe 6