naturenergie netze GmbH

Digitale Revolution im Umspannwerk

Der digitale Zwilling beschleunigt Planung und Weiterentwicklung immens

Der Energiesektor steht unter Hochdruck. Verteilnetzbetreiber im deutschen Stromnetz müssen ihre Infrastruktur für die Energiewende fit machen – und das schnell. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Wie mehr Tempo in die Modernisierung von Umspannwerken kommt, zeigt ein Pilotprojekt bei der naturenergie netze GmbH. Mit den Software-Anbietern EPLAN und entegra arbeitet der süddeutsche Verteilnetzbetreiber erstmalig an einem Digitalen Zwilling, der Planung und Weiterentwicklung von Umspannwerken immens beschleunigt.

Verteilen war einmal. Über Jahrzehnte wurde Energie tatsächlich einfach verteilt, in eine Richtung, von den kontinuierlich laufenden Kohle- und Atomkraftwerken über Umspannwerke bis – mehrfach heruntertransformiert – zu den Endverbrauchern. Aus dieser ruhigen „Einbahnstraße“ ist, um im Bild des Straßenverkehrs zu bleiben, ein belebtes Straßennetz in Innenstadtlage geworden. Der aktuelle Energie-Mix wechselt stündlich mit Wind und Wetter, eine verlässliche Grundlast gibt es kaum noch. Außerdem speisen Windkraft- und Solaranlagenbetreiber dezentral auf Mittel- und Niederspannungsebene ein, das Stromnetz arbeitet jetzt also im Zweirichtungsbetrieb. E-Auto-Ladestationen und Wärmepumpen sorgen für zusätzlichen Verbrauch, und auch die altbekannten Lastprofile mit dem „Peak“ am frühen Abend haben keine Gültigkeit mehr. Die Qualität der Versorgung muss aber immer gewährleistet sein, ebenso die 50-Hz-Frequenz.

Netzbetreiber stehen vor einer Mammutaufgabe. Sie müssen ihre Netze für diese komplexen Anforderungen fit machen. Für naturenergie netze gehört dazu der Neubau, aber auch die Modernisierung einiger bestehender Umspannwerke. Dabei besteht die Herausforderungen nicht nur darin, die Werke an den steigenden Strombedarf anzupassen. Sie müssen vielmehr für eine weitaus größere Flexibilität ertüchtigt werden, was Energiequellen und -flüsse sowie die exakte Steuerung des Stroms betrifft.


Ein digitaler Zwilling

Die naturenergie netze hat sich frühzeitig darauf eingestellt und arbeitet aktuell an einem Pilotprojekt im Rahmen der Modernisierung einer Anlage. Der Umbau des Umspannwerkes Rheinfelden wird dabei mit einem digitalen Konzept geplant und projektiert. Neu ist die Vorgehensweise bereits bei der Vorarbeit. Rainer Beck, Koordinator im Bereich Netzentwicklung: „Bevor wir in die Planung gehen, erstellen wir einen Digitalen Zwilling des Umspannwerks, also ein digitales Abbild mit allen Daten sowohl für die stromführenden Komponenten – die Primärtechnik – als auch für die Steuerungsebene – die Sekundärtechnik – und natürlich für die Gebäude mit der gesamten Peripherie. Dieser Digitale Zwilling ist die Grundlage für unsere Umbauplanung.“

Diese Aufgabe ist auch deshalb anspruchsvoll, weil Primär- und Sekundärtechnik mit unterschiedlichen CAD-Software-Tools geplant werden. Lösbar wurde sie bei diesem Pilotprojekt dadurch, dass sich zwei führende Anbieter – entegra mit der Software-Lösung primtech für die Primärtechnik und EPLAN für die Sekundärtechnik – in dem VDE ETG-Arbeitskreis „Digitale Zwillinge für Elektrische Energiesysteme“ auf eben das vorbereiteten, was naturenergie netze für den ersten (Vor-)Planungsschritt benötigte: die Zusammenführung von Primär- und Sekundärtechnik in einem einheitlichen Modell.

Deutlicher Effizienzgewinn

Für dieses bislang einmalige Vorhaben suchten entegra und EPLAN nach einem innovativen Verteilnetzbetreiber, der als Dritter im Bund ein Pilotprojekt einbringt. Da kam der Kontakt zu naturenergie netze gerade recht – zumal es sich um ein komplexes Projekt handelt. Rainer Beck: „Wir werden hier die gesamte Sekundärtechnik in einem vorhandenen und sehr komplexen Umspannwerk erneuern – und das bei laufendem Betrieb.“ Der Anreiz, sich an diesem Projekt zu beteiligen, ist offensichtlich: „Die Planung und Umsetzung der Modernisierung würde normalerweise zwei bis drei Jahre dauern. Mit der neuen Planungsmethodik wird es deutlich schneller gehen.“ Davon sind alle Beteiligten überzeugt. Matthias Schuy, Business Development Manager bei entegra: „Was wir hier machen – Primär- und Sekundärtechnik eines Umspannwerks in einem Digitalen Zwilling zu integrieren –, ist bisher einzigartig und verspricht großen Nutzen.“ Kann man das konkreter fassen? Rainer Beck: „Natürlich. Schließlich müssen wir nachweisen, dass sich der Einmalaufwand, den wir investieren, schnell amortisiert. Nach der ersten Projektphase der Vorplanung zeichnet sich eine deutliche Zeiteinsparung beim Umbau von Umspannwerken ab – und das bei jedem Projekt.“


Ein Modell für alle Nutzer

Im ersten Schritt des Projektes wurde das Umspannwerk gescannt, die Typenschilder fotografiert und die erzeugten Primärtechnik-Daten mit denen aus dem Asset Management System abgeglichen. Als Ergebnis entstand ein valides, funktionales 3D-Modell des Umspannwerks in primtech. Die in primtech erstellten Datensätze wurden dann über eine Schnittstelle vollautomatisch nach EPLAN exportiert und darauf basierend die Sekundärtechnik in EPLAN geplant. Abschließend wurden die Daten aus der Sekundärtechnik in den Digitalen Zwilling integriert. Diese Arbeiten sind nahezu abgeschlossen. Mit der Dokumentation des Ist-Zustands wurde die Basis für den effizienten Austausch der Sekundärtechnik des Umspannwerks gelegt. „Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Alle Daten sind verifiziert. Grundsätzlich wird das Prinzip ‚Single Source of Truth‘ beachtet. Dabei bleiben die Daten in den ursprünglichen Systemen unangetastet und werden mit dem Digitalen Zwilling verknüpft. So lassen sich Redundanzen vermeiden, die zukünftig problematisch werden könnten“, erklärt Jan Oliver Kammesheidt, Global Vertical Market Manager Energy bei EPLAN. 

Bei der Architektur des gemeinsamen Datenmodells haben die Beteiligten – ganz im Sinne des Zwillingsgedankens – eine besondere Infrastruktur verwirklicht. „Es gibt nicht ein führendes System, sondern nur verschiedene Sichten auf ein und dasselbe Modell. Der Digitale Zwilling macht jeweils ein Fenster auf zu den Systemen – zum Beispiel von primtech zu EPLAN oder zu SAP. Damit erfüllt der Digitale Zwilling eine seiner wesentlichen Funktionen, nämlich an zentraler Stelle Zugriff auf alle relevanten Informationen des Umspannwerks zu bieten“, sagt Matthias Schuy.   

Sekundärtechnik standardisieren

Erleichtert oder überhaupt erst möglich wurde die Dreierkonstellation von entegra, EPLAN und dem Verteilnetzbetreiber, weil naturenergie netze vor zwei Jahren EPLAN die Software-Lösungen Electric P8 und EPLAN Pro Panel für die Planung der Sekundär-, sprich Steuerungstechnik eingeführt hat. Dafür verantwortlich war und ist Simon Rümmele, Projektleiter im Bereich Netzentwicklung: „Mit EPLAN können wir die Standardisierung und ein effizienteres Engineering der Sekundärtechnik vorantreiben – und eine durchgängige Planung, die wir auch im Betrieb nutzen können, für die vorbeugende Instandhaltung und für Revisionen.“ 


Vom Maschinenbau lernen

Das Projekt zeigt: Die Anwender in der Elektrizitätswirtschaft profitieren von Erfahrungen und Lösungen aus dem Maschinenbau. Dort – wo EPLAN seit Jahrzehnten aktiv ist – ist die Standardisierung und „Industrialisierung“ der Steuerungs- und Schaltanlagentechnik fest etabliert. Dieser Schritt steht für Umspannwerke vielfach noch aus, aber er muss kommen. „Bisher wurden Umspannwerke individuell geplant und als Unikat wie in einer Manufaktur gebaut. Damit ist der Bedarf an Modernisierungen und Neubauten, den die Energiewende bedingt, aber nicht darstellbar. Die Branche muss deutlich mehr standardisieren als bislang üblich. Wir unterstützen dabei und sind froh, dass wir mit naturenergie netze einen innovativen Partner gefunden haben. Mit dem gemeinsamen digitalen Zwilling für Primär- und Sekundärtechnik beschleunigen wir den Prozess erheblich und machen ihn zugleich sicherer“, erklärt Jan-Oliver Kammesheidt.

Starke Partner für den Umbau

Genau das ist die Absicht von naturenergie netze, wie Simon Rümmele erläutert: „Wir möchten und müssen mehr digitalisieren, weil wir hier Chancen und Erleichterungen für die Zukunft sehen. Deshalb probieren wir neueste Technologien aus und werden in unserem Umspannwerk in Rheinfelden auch weitere Piloten einsetzen. Und mit Rittal, dem Schwesterunternehmen von EPLAN, haben wir zudem einen starken Partner für den Umbau der ‚Hardware‘, der gesamten Schaltschranktechnik, an Bord.“

Auch die Standardisierung, für die der gemeinsame digitale Zwilling von entegra und EPLAN eine Voraussetzung schafft, stand schon länger auf der Agenda von naturenergie netze. Rainer Beck: „Wir können uns vorstellen, im 110-kV-Bereich zwei Standardkonzepte und -gebäude zu nutzen, auf deren Basis wir Varianten bilden. Daran arbeiten wir auch mit den zentralen Primärzulieferern. Das wird ebenfalls Zeit und Planungsaufwand sparen. Und das müssen wir, denn wir werden gezwungen sein, einen Großteil unserer Umspannwerke an die veränderten Anforderungen anzupassen. Der digitale Zwilling und die Vorarbeiten, die entegra und EPLAN leisten, werden uns dabei helfen. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit erarbeiten wir hier wirklich eine Innovation, die dazu beiträgt, dass wir unsere Netze zukunftsfähig ausbauen können – mit hoher Effizienz.“

Aber nicht nur naturenergie netze wird von dem Projekt profitieren. Jan-Oliver Kammesheidt: „Die Verteilnetzbetreiber tauschen sich offen aus, weil sie nicht im Wettbewerb stehen. Schon jetzt ist das Interesse groß. Ich bin sicher: Was wir hier und in der VDE-Arbeitsgruppe erarbeiten, werden viele Netzbetreiber für sich nutzen, um ihre Umbau- und Neubauprojekte schneller planen und umsetzen zu können.“

©Images (Rittal and Eplan)

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Die naturenergie netze GmbH ist die Netzbetreiberin für Südbaden. Das Unternehmen macht Stromverteilnetze und kommunale Energieinfrastruktur leistungsfähig für die Zukunft und sorgt für eine sichere Stromversorgung. Durch Modernisierung und Ausbau der entsprechenden Infrastruktur treibt sie die Energiewende voran. 

Das Netzgebiet umfasst im Westen die Region südlich von Freiburg bis zum Hochrhein, im Osten vom Bodensee bis nördlich von Villingen-Schwenningen. Die naturenergie netze GmbH gehört zur deutsch-schweizerischen naturenergie holding AG. 


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